ich hatte heute die Gelegenheit, den Polestar 2 in München für eine Stunde probezufahren und berichte mal von meiner Erfahrung.
Bei der Fahrt dabei war ein gutes Stück Autobahn (A8 / A99 / A94), ein Teil Landstraße und ein bisschen Stadtverkehr. Ich konnte also einen guten Gesamteindruck gewinnen. Da es noch bei der Einrichtung des Polestar Spaces und der Fahrzeuge ein paar Problemchen gab, hat Google Maps mangels Account nicht funktioniert und die Verstellung des rechten Außenspiegels war defekt.
Ich vergleiche das Auto hauptsächlich mit dem Tesla Model 3, zu dem ich auch einen ausführlichen Erfahrungsbericht gepostet habe. Das Model 3 hatte ich auch zusätzlich zu dem Wochenende vor einem Jahr gerade erst nochmal eine Woche gemietet, da sind die Erinnerungen also noch frisch.
Privat fahren wir noch einen Golf VI 1.2 TSI. Sobald der wegkommt, soll auf jeden Fall ein Elektroauto her, und zwar eine Nummer größer, damit das auch mit der Familie passt (vielleicht auch ein Model Y?).
FAHRZEUGEINDRUCK
Ob einem das Außendesign gefällt, muss natürlich jeder selber entscheiden. Das Auto wirkt sehr wuchtig. Der Innenraum ist sehr gefällig, alle Materialien wirken sehr wertig und absolut sauber verarbeitet. Auch von außen ließen sich keinerlei Verarbeitungsmängel feststellen, auch alle Spaltmaße und die Lackqualität waren einwandfrei.
Ich konnte sehr gut sitzen und den Fahrersitz optimal auf mich einstellen. Auch hier geht alles elektrisch, und man kann zwei Fahrerprofile speichern.
Auf der Rückbank fällt einem gleich der Kardantunnel auf, wo dann doch die ursprüngliche Verbrennerplatform durchscheint. Wenn man hinten zu zweit sitzt, wirkt das alles sehr angenehm (auch mit Sitzheizung, Klimaanlage und USB-Ports), aber der Sitz in der Mitte ist dann doch eher ein Notsitz und es wird sehr eng. Schade, ohne den Kardantunnel wäre das sicherlich besser.
Für mich ein großes Plus gegenüber dem Model 3: Der Kofferraum. Riesig ist er zwar nicht, aber dafür ist der super nutzbar, und man hat keinen "Briefkastenschlitz", so dass man auch sperrige Gegenstände gut transportieren kann. Unter dem Boden ist ein zusätzliches Fach, aber man kann den Boden auch ganz herausnehmen. Dann hat man einen etwas größeren Kofferraum, allerdings mit unebenem Boden.
Da passt sicherlich einiges rein, aber ein Kombi ist das Auto halt nicht, also kommt man mit einer Familie sicherlich an die Grenzen.
Auch sehr positiv: Dachträger für Dachboxen kann man einfach mitbestellen und lassen sich leicht installieren - für die Urlaubsfahrt kann man also zusätzlichen Gepäckraum schaffen.
Eine Anhängerkupplung lässt sich ebenfalls einfach mitbestellen, ist für mich allerdings weniger relevant.
FAHRGEFÜHL
Nach einer Stunde kann man natürlich nur begrenzt urteilen, aber ich fand, dass sich das Auto super fuhr und einem Tesla in nichts nachstand. Sehr schönes One-Pedal-Driving, das sich auch leicht konfigurieren lässt, hohe Dynamik, gute Kurvenlage, sehr angenehme Lenkung. Auch wenn man den Polestar zackig um die Kurven scheucht, macht das Auto wirklich Spaß.
Auf der Autobahn sprintet er auch schnell auf hohe Geschwindigkeiten (also 180 und mehr) und bei 130 fand ich ihn im Ersteindruck von der Geräuschkulisse angenehm. Ein Langzeiteindruck fehlt mir natürlich.
BEDIENUNG
Das gesamte Bedienkonzept fand ich sehr positiv und Polestar ist der Spagat zwischen klassischer Bedienung mit ein paar Tasten und Wählhebeln und dem Touchscreen super gelungen - besser als bei jedem anderen Auto, das ich bisher gefahren bin. Alles fühlt sich flüssig und modern an. Ich bin grundsätzlich ein Freund der minimalistischen Touchscreen-zentrierten Bedienung bei Tesla, aber Polestar hat gerade so viel zusätzliche Tasten eingefügt, dass ich es rundum als Bereicherung und Erleichterung ansehe.
Toll ist auch das Display über dem Lenkrad, das sehr an das Model S erinnert. Man kann mit einem Tastendruck zwischen verschiedenen Layouts wählen und z.B. die Navikarte sehr großflächig einblenden.
ANDROID AUTOMOTIVE
Google Maps konnte ich aus den oben genannten Gründen nur im Stand bei einem anderen Fahrzeug testen, aber es ist genau das was man vom Handy kennt, inklusive Alternativrouten etc.. Für mich genau das, was ich so im Fahrzeug haben möchte.
Beim Nextmove-Test hieß es, dass die Ladesäulen-Planung nicht immer top funktioniert, aber das sollte mit der Zeit zu lösen sein.
Apps kann man nachinstallieren - wenn sich das System einigermaßen durchsetzt, darf man sich sicherlich auf viele nützliche und spannende Apps fürs Auto freuen, ohne dass man komplett auf den Hersteller angewiesen ist.
FAHRERASSISTENZ / TEILAUTONOMES FAHREN
Bei den Assistenzsystemen finde ich zwei Dinge besonders hervorzuheben: Die Kameras, die man auch in einer 360° Ansicht auf einmal anzeigen kann, so dass man eine Art Vogelperspektive vom Auto auf dem Display hat. Das ist gerade beim Einparken in enge Parklücken eine sehr praktische Funktion.
Zweitens natürlich der Abstandstempomat und der Spurhalteassistent ("teilautonomes Fahren"). Beides hat auf meiner Probefahrt sehr angenehm funktioniert und ich würde das System dem Tesla-Autopiloten eindeutig vorziehen. Der Abstandstempomat hat sehr weich funktioniert, ganz anders als die häufig ruppigen Bremsmanöver bei Tesla. Der Spurhalteassistent hat seine Arbeit auf der Autobahn sehr gut gemacht und ich fand es auch top, dass das System sich ganz dezent zurückzieht, sobald man den Blinker betätigt und den Spurwechsel durchführt. So finde ich das wesentlich angenehmer als das Lenkrad-Entreißen beim Tesla-Autopilot und dem ständigen DING-DONG und dem Fuß auf dem Strompedal, damit der Tesla nicht beim Wechsel auf die linke Spur plötzlich abbremst. All das war im Polestar nicht notwenig, und mir hat das Assistenzsystem sofort intuitiv die Fahrt erleichert. Im Ersteindruck ein tolles System, das ich sehr gerne verwendet habe.
Ein kleiner Kritikpunkt: Wenn man ihn lässt, überholt der Polestar allerdings rechts - er erkennt nicht automatisch wenn auf der linken Spur ein Auto langsamer fährt.
FAZIT
Ein spannendes Auto und ein wirklich ernstzunehmender Model 3-Konkurrent. Die Nachteile sind: deutlich schlechtere Effizienz und damit reale Reichweite und natürlich kein Zugriff auf das Supercharger-Netzwerk, was Langstrecken in Summe deutlich weniger entspannt machen dürfte und auch die Stromrechnung im Alltagsbetrieb merklich stärker belasten wird. Dass anfängliche Kompatibilitätsprobleme mit Ionity vor Auslieferung aus der Welt geräumt werden, ist wohl anzunehmen. Trotzdem sind die öffentlichen Schnellader wohl weniger zuverlässig als die Tesla Supercharger - damit muss man leben.
Dafür hat der Polestar für mich klar die Nase vorn bei Verarbeitung, Nutzbarkeit des Kofferraums, AHK, Dachträgern, Bedienung und den Fahrerassistenzsystemen. Meine Meinung: Wer sich überlegt, ein Model 3 zu kaufen, sollte den Polestar 2 zumindest mal probefahren.