Hallo zusammen,
mein Name ist Paul und ich bin seit Mai stolzer Besitzer eines marinablauen Ioniq. Den Wagen habe ich bei mobile.de als Vorführer (500 km) vom Autohaus Aventi in Bamberg gekauft in Premium mit Schiebedach.
Zuerst einmal vielen Dank an Guy und alle Mitglieder die mit Ihren Beiträgen und Eintragungen das Forum und Verzeichnis füllen und zur unverzichtbaren Infoquelle für alle (zukünftigen) E-Mobilisten machen. Ich möchte mit diesem (etwas längeren) Beitrag von meinen Erfahrungen ohne und mit Ioniq berichten und vielleicht den einen oder anderen Zweifel ausräumen was elektrisch zur Zeit so alles möglich ist.
Nachdem wir bislang 3 Jahre und 80000 km lang einen Diesel SUV eines sternigen Premiumherstellers fuhren und reparierten hatte ich die fixe Idee einen elektrischen Wagen anzuschaffen. Gerüchteweise müsste man da nicht jährlich Steuerketten, Turbolader, Harnstoffheizung, Motorlager und Lichtmaschinen wechseln lassen.
Einen neueren Tesla konnte ich mir leider trotz mehrfacher Versuche nicht schönrechnen und Gebrauchte ohne 4-Jahres-Garantie kamen aufgrund der vorgenannten Premiumvorgeschichte nicht in Frage. Also musste ich einige Stunden in den Tiefen des Internets recherchieren (was einem durchschnittlichen bezahlten Autojournalisten der Berichterstattung nach offensichtlich nicht zuzumuten ist) um zur für unsere Umstände einzig möglichen Alternative zu stoßen: dem Ioniq.
Ich denke die meisten sind sich einig das die Kiste nach einem Tesla das beste Elektrogesamtkonzept bietet: nicht zu groß, nicht zu klein, genug Platz (siehe weiter unten), geringer Verbrauch, schnelles Laden, langstreckentauglich (siehe unten), ordentlich verarbeitet, Preisleistung und Optik an die man sich gut gewöhnen kann. Dazu einige Assistenten und Komfortfunktionen.
Aber oje: keine eigene Garage (nur TG in Eigentümergemeinschaft) mit Stromanschluss und zur Arbeit 20 km und am Wochenende muss man doch auch mal raus. Endlich machte sich der damalige Umzug in die Großstadt bezahlt: ein EON 20 KW CCS Lader in 800m Luftlinie, ein 50KW CCS in 2 km Entfernung und ein Kaufland mit Gratis-CCS 5 km vom Arbeitsplatz. Dazu jede Menge 22KW AC Ladesäulen in der ganzen Stadt verteilt. Beim Familienbesuch am Wochenende darf tatsächlich die Steckdose in der Garage genutzt werden um wieder die 50 km nach Hause zu kommen. Und an den Autobahnen scheint es mittlerweile an gefühlt jeder 2. Raststätte CCS zu geben.
Trotz der weit verbreiteten Weisheit „ohne eigene Ladestation kein E-Auto“ hab ich mir dann doch gedacht „no risk no fun“. Übrigens dann auch beim Autokauf ohne jemals in einem Ioniq gesessen zu haben geschweige denn einer Probefahrt.
Witzigerweise kam dann 1 Monat nach Kauf die Einladung zur Eigentümerversammlung mit dem Unterpunkt „4 Eigentümer möchten gerne Ladestationen in der TG installieren lassen“ und mein Arbeitgeber hat mir auf Anfrage innerhalb von 4 Wochen im Juli eine Steckdose installiert; seitdem habe ich unter der Woche keinen Spaß mehr mit Lade- und Freizeitplanung…
Der Kauf beim o.g. Autohaus in Bamberg war problemlos per Email und Telefon erledigt. Mehrmonatige Bestellwartefristen konnte ich mir mit dem Vorführer sparen, entsprechend auch Kosten die sonst für den Verbrenner weiter angefallen wären. Nach ca. 1 Woche konnte ich den Wagen dann abholen. Das schlimmste und komplizierteste an diesem Tag war die Zugfahrt – Züge mit spontaner 30 min Verspätung, ICE mit 14° Klimatisierung, Ruhebereich im Waggon der zum Telefonieren genutzt wird „der Empfang ist so schlecht, soll ich noch lauter sprechen?!?!“ – alle paar Jahre muss man ja daran erinnert werden warum man nicht mehr freiwillig öffentliche Verkehrsmittel nutzt. Die Rückfahrt (450 km) war dann inkl. Navi programmieren, unnötig viele Lader ausprobieren, Abendessen, Verbrauchstests usw. in unter 6h erledigt und ich konnte mich ausreichend von der Zugfahrt am Vormittag erholen. Der Ioniq fuhr sich wie erwartet unglaublich gut und überraschend komfortabel und bequem. Die Fahrt habe ich nach der bewährten Plan A-B-C Strategie mittels GE Routenplaner und Papierausdruck (!wie oldschool!) ziemlich überakribisch vorbereitet. Quote der zugeparkten oder defekten Lader war 0% an einem Freitag Nachmittag.
Mittlerweile verzichte ich bei kleineren Ausfahrten (also <500 km) auf Vorbereitung von Plan B+C sondern plane einfach die Stopps schon so dass mehrere Schnelllader im Umkreis von 20 km oder auf der Route liegen oder am Ladeplatz selbst mehrere Säulen vorliegen. Aufgrund der zunehmenden Laderdichte funktioniert das auf den bisherigen Strecken sehr gut. Einen Ausdruck mache ich aber immer noch um die Stops ins Navi zu programmieren. Wenn ein Ladestop ausfällt geht’s über App und Androidauto-Googlenavigation schnell zum nächsten Lader weiter.
Die ersten Wochen wurde natürlich so viel wie möglich gefahren, so dass ich tatsächlich auch mal abends noch zum Schnelllader rüber musste…naja die 30 min bekam man mit Bedienungsanleitung durchlesen, Emails lesen oder Innenraum abputzen ganz gut um. Beim Wocheneinkauf oder Frühstücken bei Kaufland vollladen ist auch nett und mittlerweile lade ich 2x pro Woche auf Arbeit und gut ist.
Um die hochkomplexe Ladekartensituation zu durchblicken musste man natürlich auch 20 Minuten Zeit investieren. Letztlich benutze ich 99% Maingau und als Backup habe ich TNM, Vattenfall und Plugsurfing dabei. Bei letzteren habe ich nur TNM (meist im Ausland) mehr als einmal benutzt. Hier im Ruhrgebiet braucht man noch die innogy-App mit BEW-Vertrag.
Die weiteren Wochenendausflüge bis 400 km gestalteten sich problemlos. Mit Kleinkind auf dem Rücksitz haben wir auch vor Elektro einige Pausen beim Fahren gemacht, durchgefahren sind wir nur wenn hinten geschlafen wurde, aber die Zeiten des ausgiebigen Mittagsschlafs sind auch vorbei. Je nach Verkehr fahre ich 120-150 km/h auf dem Tempomat und plane lieber mehrere kürzere Stops mit Reserve als mit 100 km/h auf LKW aufzufahren und den Akku bis auf den letzten % auszureizen. Falls der Verbrauch aufgrund z.B. Steigung ungeplant mehr wird hab ich so mit geringer Geschwindigkeitsreduktion noch genug Reserven und im umgekehrten Fall kann man den Sportmodus einlegen und Premiumkombis jagen. Effektive Reisegeschwindigkeit zur Vorplanung ist so 70-80 km/h je nachdem wieviel Familienmitglieder dabei sind und wieviel Stau zu erwarten ist.
Hier habe ich unseren diesjährigen Jahresurlaub mit dem Ioniq auf 4500 km Strecke verschriftlicht:
topic34506.html
Mittlerweile stehen 14000 km auf der Uhr und ich muss bald die 1. Inspektion nach 4 Monaten terminieren. Dieses Wochenende machen wir wahrscheinlich auch wieder etwas Kurzstrecke an die niederländische See, im Oktober steht französische Mosel Kurztrip auf dem Programm und den Jahreswechsel wollten wir wieder mal in Alpen verbringen, womöglich wieder Meran.
Ich schreib aber nicht jedesmal wieder einen Roman dazu, versprochen.
Zusammenfassung:
1. Der Ioniq ist ein (für die meisten) völlig ausreichendes und überdurchschnittlich komfortabel und gut ausgestattetes Familienauto
2. Die Reichweite ist für den Alltag mehr als ausreichend, für Langstrecke wären 300 km optimal sofern mehr 70 KW Lademöglichkeiten da wären. Warum in Deutschland mehr Vorrat im „Tank“ sein muss sehe ich jedesmal wenn auf der AB mit 200 km/h Richtung Stau oder Baustelle geschossen oder in der Stadt von Ampel zu Ampel durchbeschleunigt wird. Da hätte ich natürlich auch Reichweitenangst wenn das effizientes Fahren sein soll.
3. Wer 5-stellige Extrabeträge für einen Premiumbadge auf dem Grill oder Chrom/AMG/M-Paket auf den Tisch legen kann, könnte sich auch mit dem gleichen Geld einen E-Wagen leisten.
4. Wenn man diese denn kaufen oder probefahren könnte. Ich lerne laufend Leute kennen die gerne mal ein E-Mobil ganz normal beim Händler anschauen oder als Tageszulassung oder jungen Gebrauchten nehmen würden.
5. Weite Teile Europas inklusive Süditalien sind elektrisch problemlos zu bereisen (Adriaküste ab 2019).
6. Die Ladesituation ist nicht so schlimm wie immer dargestellt (und von mir befürchtet wurde), selbst nicht an Urlaubswochenenden. Auf 5500 km Urlaubsfahrten hatten wir ganze 3 defekte oder (kurz) zugeparkte Schnelllader erlebt.
7. Wer Instagram, Facebook, Whatsapp und Co stundenlang mit Inhalten füllen oder konsumieren kann sollte auch im Stande sein eine Ladesäulen-App, Routenplaner und das Navi zu bedienen und da etwas Zeit zu investieren. Allerdings wäre eine Tesla-ähnliche Software im Ioniq Gold wert.
8. Somit ist der Ioniq das ideale elektrische Erstauto, Zweitauto, Alleinauto, Familienauto, Autobahnauto, Stadtauto, Laternenauto, Garagenauto, Lang-, Mittel- und Kurzstreckenauto.
9. Sorry dass sogar die Zusammenfassung zu lang geworden ist.
Ich hoffe dem einen oder anderen bei der Entscheidung zum E-Auto geholfen zu haben und wünsche allen problemlose und schöne elektrische (Urlaubs-) Fahrten!