Business Case DC Ladeinfrastruktur

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Ohne Aussicht auf einen langfristig wirtschaftlich tragfähigen Betrieb, werden wir keine verlässliche Infrastruktur bekommen, das ist zumindest meine persönliche Ansicht.
Daher möchte hier mal Fakten sammeln, wie sich selbsttragende Modelle für Ladeinfrastruktur unter realen und prognostizierten Kennzahlen darstellen lassen könnten.

Als aufschlussreiche Datenquelle verwende ich dazu einen einige Monate alten Artikel, der freundlicherweise von @hgerhauser in einem anderen Thread geteilt wurde.
Hier geht es um eine Auswertung vom Nutzerverhalten der norwegischen DC-Ladenetzbetreibers Fortum und Grønn Kontakt im Jahre 2017
https://utilityweek.co.uk/charging-beha ... ce-norway/

Es werden dort einige sehr interessante Eckdaten genannt:
- Es wurden 285.000 Ladevorgänge an 350 DC-Stationen (50kW) ausgewertet.
Das würde im Umkehrschluss bedeuten, von den ca. 150.000 im Jahre 2017 in Norwegen zugelassenen Fahrzeugen wurde nur durchschnittlich 2x überhaupt einer der beiden größten Anbieter genutzt. Kann das sein? Das würde bedeuten, nur etwa 1-2% der Energiemenge würde im Bereich dieses Schnellladenetzes geladen worden sein.

- Die durchschnittliche Ladeleistung betrug 30kWh/h also 30kW
Bei ausnahmslos 50kW Säulen ist das zu erwarten, durch vermutlich zum einen die verbreitete 125A Strombegrenzung ist die Maximalleistung auf deutlich unter 50kW limitiert, der Rest ist durch die Temperatur- und SoC beeinflusste Ladekennlinie der Fahrzeuge bedingt.

- Auslastung bis zu 4% oder 250h
Für mich unklar, 4% von 24/7 wären 350 Jahresstunden. Im Mittel war es aber weniger als die Hälfte

Sehr aufschlussreich ist das Nutzungsprofil über die gemittelten Wochentage dazu:
Jahresauslastung über Wochentage.JPG
Scheinbar ist dieses Durchschnittsprofil einigermaßen repräsentativ, eine weitere Grafik zeigt die Auslastung über die in Norwegen reisestarke Osterwoche. Hier weicht das Profil weder in Verlauf noch in Betrag aussergewöhnlich vom Jahresschnitt ab.
Nutzungsprofil Osterwochenende.JPG
Mit diesen Zahlen braucht man natürlich immer noch nicht an Wirtschaftlichkeit denken, interessant ist aber eine Übertragung auf ein Vielfaches.

Wenn ich hypothetisch die 5% Peakauslastung bei 350 Ladesäulen und 150.000 Nutzern um den Faktor 100 vergrößere, kann ich die Anzahl der erforderlichen Säulen auf 100% Peakauslastung oder sogar darüber auslegen, sprich jeden der 350 Standorte mit 20 entsprechenden Ladesäulen würden das gleiche Profil mit 15 Millionen Nutzern abbilden.

Wie seht ihr das?
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Re: Business Case DC Ladeinfrastruktur

TeeKay
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Du kannst nicht vom Durchschnitt des ganzen Landes hochskalieren auf 100% Peakauslastung und dann darauf aufbauend eine ausreichende Säulenzahl ableiten. Auch in Norwegen gibt es nutzungsstarke und nutzungsschwache Standorte. Ein Standort hoch im Norden wird fast nie genutzt, während es im Großraum Oslo Warteschlangen gibt. Ich denke, mindestens 50% des Netzes haben eine Minimalauslastung nahe 0.

Interessant wäre daher eine Statistik für alle Säulen im Umkreis von 25km und 50km um die Stadtkerne von Bergen, Trondheim und Oslo. Schon 2015, als die Elektromobilität in Norwegen noch in den Kinderschuhen steckte und es kein echtes zusammenhängendes Schnellladernetz gab, war diese Nutzungsverteilung zu beobachten. Außerhalb von Oslo und Bergen hatte ich glaube ich nur zwei Mal andere Elektroautos an den Schnellladern getroffen. Und ich habe mindestens eine ganztägige Fototour gemacht und alle Schnelllader auf dem Weg fotografiert.

Re: Business Case DC Ladeinfrastruktur

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Du kannst auch nicht einfach die Standorte um mehr Säulen erweitern, du brauchst auch zusätzliche Standorte um mehr Nutzer zu erreichen. Ggf. lassen sich Standorte auch garnicht erweitern, da die verfügbare Anschlussleistung nicht ausreicht.
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Re: Business Case DC Ladeinfrastruktur

TeeKay
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Jemand sollte die Lizenz für das Computerspiel "Verkehrsgigant" erwerben und den "Ladesäulenmanager" darauf aufbauen. Damit lässt sich dann sehr gut die Nutzerdynamik simulieren. Beobachten kann man das schon in der Realität. Es genügt eine Preisänderung, um die Nutzerströme von Ladesäule A zu Ladesäule B zu verlagern. Wer wollte schon bei Allego laden, als es 50 Cent die Minute kostete? Fast keiner. Der Pauschaltarif für 7,50 Euro änderte das über Nacht. Diese Dynamik wird von Maingau und Telekom jetzt leider überdeckt.

Re: Business Case DC Ladeinfrastruktur

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TeeKay hat geschrieben:Du kannst nicht vom Durchschnitt des ganzen Landes hochskalieren auf 100% Peakauslastung und dann darauf aufbauend eine ausreichende Säulenzahl ableiten. Auch in Norwegen gibt es nutzungsstarke und nutzungsschwache Standorte. Ein Standort hoch im Norden wird fast nie genutzt, während es im Großraum Oslo Warteschlangen gibt. Ich denke, mindestens 50% des Netzes haben eine Minimalauslastung nahe 0.
Ist schon klar. Die Gewichtung muss da entsprechend aufgeteilt werden, die Summe der Ladepunkte bliebe in dieser immer noch sehr groben Annahme aber zumindest identisch.
Tho hat geschrieben:Du kannst auch nicht einfach die Standorte um mehr Säulen erweitern, du brauchst auch zusätzliche Standorte um mehr Nutzer zu erreichen.
Das ehe ich anders. Die Standortdichte in Norwegen war bereits 2017 auf einem recht hohen Niveau. Sicherlich müssten da noch einzelne Lücken geschlossen werden, das entlastet dann aber wieder andere Standorte.
Tho hat geschrieben:Ggf. lassen sich Standorte auch garnicht erweitern, da die verfügbare Anschlussleistung nicht ausreicht.
Das ist zumindest für die Norweger vermutlich das geringste Problem. Ein Land, dass hinsichtlich kompromissloser Infrastrukturentwicklung scheinbar keine Grenzen kennt wird kaum an den notwendigen Netzausbaumaßnahmen scheitern.
TeeKay hat geschrieben:Jemand sollte die Lizenz für das Computerspiel "Verkehrsgigant" erwerben und den "Ladesäulenmanager" darauf aufbauen. Damit lässt sich dann sehr gut die Nutzerdynamik simulieren. Beobachten kann man das schon in der Realität. Es genügt eine Preisänderung, um die Nutzerströme von Ladesäule A zu Ladesäule B zu verlagern.

Auch wenn sich die Dynamik eines realen Marktes sicherlich nur begrenzt in Simulationsalgorythmen abbilden lässt, halte ich die aus einem Computerspiel generierten Nutzerdaten für brauchbarer als die durch aktuell verzerrende Preismodelle massiv verfälschten Daten.
Das sind mit hohem Zuschuss generierte Schrottdaten.

Zur gesteuerten Nutzerdynamik: Bin überzeugt, dass sich das Profil durch verbilligte Mondschein- oder bspw. Mittagspausentarife deutlich glätten ließe.
Hätte nicht für möglich gehalten wieviele Leute gezielt Umwege in Kauf nehmen und Zeit opfern nur um irgendwo eine kostenlose Lademöglichkeit mitzunehmen.
SmartED - einfach, wie für mich gemacht

Re: Business Case DC Ladeinfrastruktur

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Keiner etwas zu dem Thema beizusteuern?

Nun gut, versuche ich mal ein paar Zahlen aus den spärlichen Ausgangsdaten abzuleiten.
Wenn ich die Grafik analysiere, komme ich auf einen mittleren Nutzungsgrad von 1,35%
Mittelwert.png
Das bedeutet unter Annahme 100% Nutzung = 50kW eine Gesamtabgabe von
350 Ladesäulen * 50kW * 0,0135 * 8760h/Jahr
= ~ 2.000.000kWh/Jahr


Für die 350 Schnellladesäulen (Triple a 50kW) nehme ich mal ganz grob geschätzt für die fertig installierte Ladesäule €70.000 inklusive aller Nebenkosten
Somit €70.000,- * 350 = € 24.500.000 Anfangsinvest
Bei einem Abschreibungszeitraum über 8 Jahre macht das ohne Zinsen 3 Millionen Euro pro Jahr.
Weiterhin nehme ich mal 3% Servicekosten/ Jahr (Hotline, Wartung, Reparaturen) = ca. €2.000,-/ Jahr und Säule also insgesamt 700.000 Euro/ Jahr
Wenn ich diese jährlichen Kosten durch die abgegebenen 2Mio kWh teile komme ich auf etwa €1,85 pro kWh Durchleitungskosten. Wenn man also noch Stromeinkauf hinzurechnet, bräuchte man im gezeigten Beispiel etwa €2,-/kWh um die Kosten verlustfrei zu decken.
SmartED - einfach, wie für mich gemacht

Re: Business Case DC Ladeinfrastruktur

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spark-ed hat geschrieben:Wenn ich diese jährlichen Kosten durch die abgegebenen 2Mio kWh teile komme ich auf etwa €1,85 pro kWh Durchleitungskosten. Wenn man also noch Stromeinkauf hinzurechnet, bräuchte man im gezeigten Beispiel etwa €2,-/kWh um die Kosten verlustfrei zu decken.
Und da sind noch nicht mal Nebenkosten wie z.B. Ladekartenausgabe/Verwaltung/Abrechnung, Sondernutzungs- und Pachtgebühren für die Stellplätze, Werbung etc. dabei. An wirtschaftlichen Betrieb ist da bei Weitem nicht zu denken.
spark-ed hat geschrieben:Wenn ich die Grafik analysiere, komme ich auf einen mittleren Nutzungsgrad von 1,35%
Dann liegt also hier der Hase im Pfeffer. Bei einer Erhöhung der Auslastung reduzieren sich die anteiligen Fixkosten. Bei angenommenen 50% Nutzungsgrad wären wir nur noch bei 5cent/kWh Fixkosten plus Einkauf und Nebenkosten. Allerdings habe ich bei 50% Gesamt-Auslastung natürlich auch eine 50%ige Chance, dass ich als Kunde an eine besetzte Säule komme und erstmal warten muss. Dann müssen mehr Outlets her und die Investition steigt wieder.

Also fragt sich letzen Endes, wo der "sweet spot" zwischen wirtschaftlichem Betrieb, vernünftigem Preis und maximal akzeptabler Auslastung liegt.
Elektro als Daily seit 2017, aktuell Skoda Enyaq 80

Re: Business Case DC Ladeinfrastruktur

hgerhauser
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Bei 100 Schnellladern zu 350 kW hätten wir an einem einzigen Standort 35 MW, das Doppelte von 350 mal 50 kW (=17,5 MW),

und zwei offensichtliche Hebel für niedrigere Kosten pro kWh:

1. Höhere Auslastung
2. Niedrigere Kosten pro kW

Was macht die Schnelllader teurer als z.B. Wechselrichter für PV Anlagen? (200 Euro pro kW bei kleinen Anlagen, 50? bei großen
https://www.pv-magazine.com/2018/05/25/ ... and-lower/
der blaue Balken bei inverter ist so schmall, dass das aus der Graphik schwer abzulesen ist)

Ich finde wenig zu dem Cost breaddown von Schnellladern, wie setzen sich die Kosten zusammen?

Ohne so einen breakdown ist es schwierig für mich das Optimierungspotential und Synergiepotential gut abzuschätzen. Second life Batterien an einem PV/Windpark könnten die Netzanschlusskosten weiter senken und da die auch mit Wechselstrom geladen werden würden (zumindest von der Windseite), könnte da Equipment zwischen Second Life Batterie Lader und Schnelllader geteilt werden.

-------------

Bei so einem großen Standort lässt sich die Auslastung sicher ganz gut durch Preise steuern. Selbst bei 5% Auslastung zu Peakzeiten hat man bei einem einzigen 50 kW Lader pro Standort eine 5% Chance, dass der besetzt ist, wenn man ankommt. Kommt also regelmäßig vor, und nervt, wenn da jemand eine halbe Stunde steht.
Bei 50% Peakauslastung (im Durchschnitt) und 100 Ladern am Standort ist die Chance dagegen praktisch Null.

(man nimmt eine 50% Chance pro Schnelllader an, dass er besetzt ist, bei 100 Schnellladern hat man also 100 Münzwürfe ...
https://math.stackexchange.com/question ... -all-heads , ja ich weiß die Realität ist noch etwas komplexer, das Grundprinzip funktioniert aber schon)
heikoheiko.blogspot.com

Re: Business Case DC Ladeinfrastruktur

Ragnarok
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spark-ed hat geschrieben:Keiner etwas zu dem Thema beizusteuern?
Klar doch...
Da der Markt sich noch sehr stark wandelt (Ladeleistung, Energieinhalt, Anzahl von Autos,.. steigt sehr schnell), kann man afaik solche Daten kaum verwerten. Sie sind afaik schlicht nutzlos.

Rechne vielleicht lieber anders rum:
- Kosten für Infrastruktur (Erdarbeiten, Trafo, Fundamente,...): Abschreibung auf 20 Jahre oder noch mehr
- Kosten für Lader (50kw <20k€) auf z.B. 5 oder 8 Jahre
- Wartung pro Lader pro Jahr

Beispiel aus der Zukunft:
Energiemenge pro Ladevorgang: 40kWh
Ladevorgang pro Tag: 1....3....8

Fülle eine Excel Tabelle aus und spiele mit den Werten. Je nach Einstellung kommst du auf Preise von 0,3€ bis 1€ pro kWh

Re: Business Case DC Ladeinfrastruktur

hgerhauser
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Situation 2050: Nehmen wir 50??? Euro pro kW an und 50% Auslastung und etwas über 10 Jahre (bzw. noch etwas mehr damit wir Wartung vernachlässigen können): wir kommen auf etwas unter 50000 kWh für 5000 Cent oder 0,1 Cent die kWh. Oder vernachlässigbar wenig.

Situation 2025: Nehmen wir 500 Euro pro kW und 20% Auslastung und eine halb so kurze Amortisationszeit und es sind 5 Cent/kWh. Das reicht für einen business case, ohne die Kunden durch hohe Preise abzuschrecken. Ein Großteil der Stromkosten wären dann Steuern und Umlagen. 20% Auslastung gibt auch einen akzeptablen Leistungspreis für die Netznutzung (90 Euro pro kW und Jahr ist bei 20% Auslastung auch etwa 5 Cent die kWh). Zahlt der Park ähnlich viel wie ein großer Industriekunde und muss 5 Cent dadrauf schlagen für die Schnelllader, dann sind Haushaltsstrompreise an Schnellladern profitabel.
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