Permanenter Rechtfertigungsdruck

[Elektrolurch]

Für die anderen kommt es wohl oft so rüber wie: "Seht her, ich verhalte mich umweltfreundlich und korrekt, während Du noch mit dem Stinkeauto herumfährst. Ich mache es richtig, Du machst es falsch.".

Ja, das ist wie als einziger Veggie mit am Tisch zu sitzen, wenn alle anderen Steak bestellen. Die bloße Tatsache, dass da einer ist, der es anders macht, ist schon Provokation. Es bewirkt, dass alle anderen plötzlich ein Fragezeichen an ihrem Verhalten sehen. Und dann kannst du immer die gleichen Reaktionsmuster ablaufen sehen, von Rechtfertigung („Wir essen ja nicht jeden Tag Fleisch...“) bis Abwehr („Pflanzen sind ja auch Lebewesen.“) und Aggression („Ich esse, was ich will!“) - ohne dass man selbst irgendetwas gesagt oder gefragt hätte.

Positiv ist immerhin, dass ja anscheinend der Wertekontext in beiden Fällen nicht strittig ist. Fleisch essen ist problematisch, Verbrenner fahren ist problematisch. Das wissen alle, auch die Fleischesser und Verbrennerfahrer. Aber keiner mag es, an verdrängte unangenehme Tatsachen erinnert zu werden.

Ich habe auch keine Lösung. Vielleicht müssen wir uns einfach von dem Missionierungsgedanken verabschieden. Vielleicht geht es nicht darum, die Welt zu retten, sondern darum, in einer verrückten Welt die eigene Integrität weitestgehend zu wahren. Walk your talk. Alles andere ergibt sich daraus.

[phonehoppy]

Die bloße Tatsache, dass da einer ist, der es anders macht, ist schon Provokation. Es bewirkt, dass alle anderen plötzlich ein Fragezeichen an ihrem Verhalten sehen. (...) Aber keiner mag es, an verdrängte unangenehme Tatsachen erinnert zu werden.

Ja, genauso sehe ich das auch...

Vielleicht müssen wir uns einfach von dem Missionierungsgedanken verabschieden. Vielleicht geht es nicht darum, die Welt zu retten, sondern darum, in einer verrückten Welt die eigene Integrität weitestgehend zu wahren.

Ich hatte eigentlich in Bezug auf mein Auto nie den Anspruch, missionierend zu wirken. Hätte ich das, würde ich einige Reaktionen viel besser verstehen, denn missioniert zu werden gefällt auch mir persönlich nicht. Aber mich hat die Reaktion auf z.B. den bloßen Wunsch, das Auto an einer Ladestation laden zu "dürfen" in der Schärfe ihrer Ablehnung dann doch etwas überrascht. Dieses Gefühl der Provokation durch die bloße Existenz einer Alternative scheint doch extrem tief zu sitzen.

[Vanellus]

Es scheint, als Elektroautofahrer wird man als arrogant wahrgenommen, wenn man nur einfach an eine Ladesäule heranfahren möchte, da hiermit ein Vorrecht für einen bestimmten Stellplatz verbunden ist. Daran lässt sich auch mit freundlichem Verhalten nichts ändern. Für die anderen kommt es wohl oft so rüber wie: "Seht her, ich verhalte mich umweltfreundlich und korrekt, während Du noch mit dem Stinkeauto herumfährst. Ich mache es richtig, Du machst es falsch.". Damit ist ja eine Trotzreaktion schon vorprogrammiert, gerade bei Leuten, die es eigentlich besser wissen müssten.

Das muss man im Kopf haben, wenn man mit Leuten während des Laden ins Gespräch kommt. Man sollte alles vermeiden, was beim Gegenüber den latent vorhandenen Eindruck verstärkt: Ich, der E-Autofahrer, bin der bessere, der gute und du bist die Umweltsau.

[Tigger]

Positiv ist immerhin, dass ja anscheinend der Wertekontext in beiden Fällen nicht strittig ist. Fleisch essen ist problematisch, Verbrenner fahren ist problematisch.

Und genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister, bzw. sehe ich da durchaus einen strittigen Punkt. Denn hauptsächlich die E-Lobbyisten und Veganer sind der genannten Meinung... Ich sehe weder im Fleisch essen noch im Verbrenner fahren eine Problematik.

Interessant finde ich an dieser Stelle die Scheinheilligkeit der Argumentation: "Oh jeh, ich muss mich für's E-Auto fahren rechtfertigen". Aber andererseits wird unterschwellig genau diese Rechtfertigung von Verbrennerfahrern erwartet. Und jetzt kommt halt die Enttäuschung der Erwartungshaltung, denn ein "normaler" Autofahrer wird keinen Grund sehen sein Tun in irgendeiner Form zu rechtfertigen. Es ist halt so, Punkt...

[Jochen2003]

@ Elektrolurch
Ich muss dir da völlig zustimmen, sowas passiert schon nur weil man Dinge anders macht. Meine Frau und ich machen viele Dinge in unserem Leben anders als der Durchschnitt und selbst dadurch entsteht genau das was du beschreibst.

- Wir fahren eine Elektroauto
- Nutzten bis vor kurzem Windows Handys (Leider gibt es dafür keine Nissan APP)
- Ich rauche elektrisch
- wir haben vier Hunde die im Haus leben (große Hunde, hat was mit meinem Beruf zu tun)
- Haben sehr viel Spaß an technischen Neuerungen (Amazon Echo z.b. (besser bekannt als Alexa))
- Wir tragen beide Tattoo´s
- usw.

Immer wieder trifft man auf die beschriebenen Dinge und muss sich rechtfertigen.

Denn hauptsächlich die E-Lobbyisten und Veganer sind der genannten Meinung... Ich sehe weder im Fleisch essen noch im Verbrenner fahren eine Problematik.

+1

[Tigger]

- Wir tragen beide Tattoo´s
Immer wieder trifft man auf die beschriebenen Dinge und muss sich rechtfertigen.

Dann trägst Du Deine Tattoos aber nicht aus Überzeugung! Ich habe meine Tattoos, weil sie mir gefallen und, wenn ich mir selber gegenüber ehrlich bin, um eine bestimmte Klientel zu provozieren. Genau dieser Personengruppe gegenüber muss ich mich aber mit Sicherheit in keiner Weise rechtfertigen.
Die Leute, die eine Rechtfertigung verdienen würden, erwarten, meiner Erfahrung nach, aber keine. Nennt sich Akzeptanz.

[Jochen2003]

Tigger du hast ja recht, aber auch ich trage meine aus Überzeugung, das ändert aber nichts daran das man darauf angesprochen wird. Auf die übliche bekannte Art, Tattoos auf alte Haut sieht irgendwann Kacke aus, du kennst dann die üblichen Sprüche.
Drauf eingehen tue ich nicht, außer mit dem Hinweis "das alte Haut auch ohne Tattoos auch kacke aussieht" Wirklich drüber Unterhalten tue ich mich nur mit denjenigen der sich interessiert.

[Elektrolurch]

Ich sehe weder im Fleisch essen noch im Verbrenner fahren eine Problematik.

Dann blendest du aber ziemlich viel Kontext aus, findest du nicht?

[Tigger]

Drauf eingehen tue ich nicht, außer mit dem Hinweis "das alte Haut auch ohne Tattoos auch kacke aussieht"

Das mit der alten Haut weiß ich nicht, bin ja erst 47...

Aber gerade das "drauf eingehen tue ich nicht" vermisse ich halt oft, wenn ich hier so mitlese. eIsNext hat mal schön geschrieben (sinngemäss): Man rechtfertigt sein Handeln nur dann, wenn man sich seiner selbst nicht sicher ist...

@Elektrolurch: Welchen Kontext habe ich denn, Deiner Meinung nach, ausgeblendet? Den Part Deiner Mitteilung, auf den ich mich bezogen habe, habe ich gequotet.