Permanenter Rechtfertigungsdruck

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Re: Permanenter Rechtfertigungsdruck

orinoco
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pbda hat geschrieben:Dazu passend: Der Backfire Effekt
http://theoatmeal.com/comics/believe
Da hier jetzt hoffentlich jeder über den Backfire Effekt prinzipiell informiert ist, zur Ergänzung warum der so hartnäckig *doppeldenk* und so mächtig über das Denken der Menschen ist.
Geist und Gehirn - Emotionen - Gut und schlecht
Fazit: Wenn sie erst mal da ist, gewinnt Angst immer über Liebe und Verstand. Sie muss gewinnen, so wie sie für ihre evolutionäre Aufgabe konstruiert ist. Oder wie es Spitzer immer treffend ausdrückt: von den Menschen bzw. Säugetieren, die bei Gefahr sich erst mal zurückgelehnt haben um das Problem auf sich wirken zu lassen, statt die Beine in die Hand zu nehmen, von denen stammen wir nicht ab.

Ich hab eine relativ einfache Regel entwickelt, woran man erkennt ob jemand in einer Diskussion im Angst-Modus ist oder nicht:
Die, die mich verstanden haben wissen was ich meine.
Die, die mich verstehen wollen, fragen interessiert, freundlich und konstruktiv nach.
Und die, die nur meckern, herumkritteln und das Haar in der Suppe suchen, wollen gar nicht verstehen
Ist klar, wo es sich lohnt weiter zu diskutieren und wo nicht.

Wer hier mal seine Amygdala testen will: ich bin seit fast 40 Jahren Veganer und betrachte die Ausbeutung von Tieren wie sie in unserer Gesellschaft Alltag ist, als mit der Sklaverei von vor 1860 in den USA vergleichbar und für ebenso moralisch verwerflich. Nein, bitte keine Diskussion! Aber es kann jeder, der nicht schon Veganer ist, mal in sich reinfühlen wie ihm bei dem Gedanken wird. Ich beobachte die Reaktionen meiner Mitmenschen auf mein Vegan-Sein schon seit 40 Jahren und es ist praktisch immer das Gleiche. Besonders schön im Telepolis-Forum zu beobachten, wenn Peter Mühlbauer mal wieder eine seiner Hasstiraden auf die Veganer vom Stapel lässt. Da kann man dabei zuschauen wie die kalte Angst nicht nur Herrn Mühlbauer die Worte in die Feder diktiert, sondern wie selbst bei den intellektuellsten und progressivst denkenden Forenteilnehmern der (Angst-)Rollo runter geht und am liebsten den Scheiterhaufen für die Veganer wieder einführen würden, dass die mit ihrer meist unausgesprochenen moralischen Anklage endlich verschwinden. Eine soziologische Studie der besonderen Art.

Es gibt mMn eine einfache biologische Erklärung für die Angst vor der Zerstörung des eigenen Weltbildes. Weltbilder existieren ja nicht einfach so jeder für sich, sondern werden in einen sozialen Kontext, in der Regel der der eigenen Gruppe, generiert. Das soziale Umfeld in dem man sich bewegt hat in der Regel ähnliche Ansichten und Einstellungen und das stärkt den Zusammenhalt der Gruppe und der ist für das Überleben der Gruppe entscheidend. Menschen sind hochsoziale Säugetiere, die allein nicht überlebensfähig und schon gar nicht zu kulturellen Höchstleistungen fähig sind. Isolierten kleinen Gruppen von Menschen gehen sogar so elementare kulturelle Fähigkeiten wie Feuer machen verloren. Aber das Schlimmste für einen Menschen ist von der eigenen Gruppe ausgestoßen oder isoliert zu werden. Wenn jetzt jemand auf einmal eine ganz andere Meinung als die der Gruppe annimmt, dann besteht die Gefahr, dass die anderen sagen "Wir mögen dich nicht mehr". Das war früher ein Todesurteil. Und das löst Angst und Stress in uns aus, immer noch auch wenn es heute Sozialstaat und -versicherung und gesicherte Grundversorgung gibt. Das sitzt ganz, ganz tief in uns drin. Aber das ist auch der Schlüssel wie man Meinungen von Menschen im großen Maßstab ändert: indem man die moralischen Regeln verändert und auf den Konformitätsdruck vertraut. Allen, die den alten Regeln folgen wird klar macht: "du stehst mit deiner Meinung alleine! oder zumindest in einer Minderheit" Volksentscheide sind da ein sehr interessantes Instrument, denn zum einen wird dann konstruktiv und ergebnisorientiert politisch diskutiert statt nur Stammtischgelaber. Und es handelt sich um sehr große soziale Gruppen, die ihre Meinung mehrheitlich bekunden. Danach ist klar, welche Position in der demokratischen Mehr- und welche in der Minderheit ist. Solche Entscheide durch das Volk - faire und demokratische Spielregeln vorausgesetzt - sind praktisch immer sozial akzeptiert, weil wer den Entscheid nicht akzeptiert, der steht als schlechter Verlierer da, der nachkartet, weil er vorher nicht überzeugen konnte. Dem moralischen Vorwurf will sich eigentlich keiner aussetzen. Darauf ist auch die befriedende Wirkung von Volksentscheiden zurückzuführen, egal wie das Ergebnis ausfällt. Aber auch wer keine guten Argumente für seine Position hat, fürchtet Volksentscheide. Denn dann könnte sich herausstellen, dass er keine Mehrheit für seine Position hat und er alleine dasteht. Das macht natürlich auch Angst. Vor allem unsere Politiker haben diese Angst.

Zum Abschluß ein Zitat aus "Asterix und die Normannen":
Erst wer weiß was Angst ist bekommt Mut.
Und mutig ist der, der seine Angst zu bezähmen weiß
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Re: Permanenter Rechtfertigungsdruck

Toumal
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Wiese hat geschrieben:Dieses Problem, also den Rechtfertigungsdruck, kenne ich schon mein Leben lang, weil ich nicht der Norm entspreche.
Wollt ihr ein paar Beispiele?
...
Jup. Ich hatte das gleiche mit der Waermepumpe damals ca. 2004. Auf der Bezirkshauptmannschaft wurde ich ausgelacht und als gruener Spinner tituliert. "Nehmen's doch Gas, des is vue billiger". Oder auch "Sie wern im Winter frieren!"

Was soll ich sagen, die Gaskunden jammern, und ich grinse. Meine Stromrechnung ist zwar hoeher als bei anderen, aber unterm Strich spare ich ordentlich Geld. Und das mit dem Strom wird dieses Jahr endlich angegangen...


Fun fact: In der Firma duerfen gewisse Mitarbeiter(innen) nicht erfahren dass wir schon seit Jahren nicht mehr mit Gas heizen, sondern auch dort massiv auf Waermepumpen setzen. Es wird weiterhin jeden Herbst eine email an alle geschickt dass "ab jetzt geheizt wird", damit den WP-Leugnern nicht kalt wird. Das System laeuft aber das ganze Jahr ueber und selbst im tiefsten Winter brauchen wir nicht mit Gas zuheizen. Dazu kommen 140kWp Solar auf dem Dach, welches wir hoffentlich bald auf ueber 250 erweitern. Aber pssst, nicht verraten. Denn sonst wird gewissen Leuten sofort kalt.

Re: Permanenter Rechtfertigungsdruck

Pianist
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orinoco hat geschrieben:Darauf ist auch die befriedende Wirkung von Volksentscheiden zurückzuführen, egal wie das Ergebnis ausfällt.
Vorsicht. Wir haben in Berlin demnächst einen Volksentscheid, wo ein vor vielen Jahren getroffener Grundsatzbeschluss (Flughafen Tegel schließen, wenn der neue Flughafen in Betrieb ist) aufgeweicht werden soll. Die Leute im Norden Berlins haben sich darauf verlassen, dass der Konsensbeschluss (nur ein Flughafen für die Region) gilt. Und nun soll es womöglich "Pustekuchen" heißen, weil vielen Leuten der kurze Weg zum Billigflieger dann doch mehr Wert ist als das Ende des Fluglärms für hunderttausende Menschen mitten in der Stadt.

Matthias
Zuletzt geändert von Pianist am Mo 8. Mai 2017, 08:41, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Permanenter Rechtfertigungsdruck

Odanez
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@orinoco - super geschrieben, du sprichst mir aus der Seele. Man muss manchmal schon harte Nerven haben, wenn man gegen den Strom schwimmt. Was glaubst du wie hinter unserem Rücken gelästert wird, da wir eine 7 Wochen alte Tochter haben und wir auch schon seit Jahren Veganer sind? Manche würden uns da schon fast das Jugendamt auf den Hals hetzen obwohl sie kerngesund und glücklich ist
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Re: Permanenter Rechtfertigungsdruck

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Bei veganen Kindern muss man auch höllisch aufpassen. Aber heute gibt es ja mehr Möglichkeiten als je zuvor.
Not-wendig: www.bzfe.de/inhalt/planetary-health-diet-33656.html

Freitag treffen wir uns: https://fridaysforfuture.de/allefuersklima/

Herzliche Grüße
Alex

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Re: Permanenter Rechtfertigungsdruck

Odanez
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da sehe ich bei uns zumindest kein Problem - aufpassen muss man bei der Ernährung so oder so, und das tun wir auch, die Wahrscheinlichkeit einer Mangelernährung ist bei uns garantiert kleiner als bei vielen anderen - ich würde mir viel mehr Gedanken um die machen, die sich keinerlei Gedanken darüber machen und alles essen was sie wollen. Aber ich will ja niemanden irgendwas vorschreiben und will mich auch nicht rechtfertigen müssen, soviel zu diesem Thema :D
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Re: Permanenter Rechtfertigungsdruck

Pianist
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Auf welt.de wird seit gestern morgen verbissen diskutiert, unter anderem auch über Elektroautos. Und auch dort traf meine Prognose mal wieder ein, es kommen auch sämtliche "Argumente" gegen Elektroautos zur Sprache:

https://www.welt.de/wirtschaft/article1 ... h-ist.html

Matthias
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Re: Permanenter Rechtfertigungsdruck

Pianist
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Auf welt.de gibt es derzeit praktisch jeden Tag Artikel zum Thema "Diesel-Fahrverbote", wo dann von den kommentierenden Lesern gegen Elektroautos gehetzt wird. Heute erschienen sogar zwei Artikel zum Thema, einer wieder über Diesel-Fahrverbote und einer über den Börsenwert von Tesla. Ich habe nicht genug Zeit, dort immer alles zu kommentieren, vielleicht kann der eine oder andere von Euch mal einen Blick werfen. Ist immer alles im Wirtschaftsteil.

Also wie schon gesagt: Die Artikel sind nicht so interessant wie die 400 Kommentare darunter. Und es werden meistens um die 400 Kommentare...

Matthias
Seit Dezember 2020 mit Tesla Model 3 SR+ unterwegs.

Re: Permanenter Rechtfertigungsdruck

motion
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Pianist hat geschrieben:Schönen guten Tag an alle Mitlesenden!

Mir fällt auf, dass in jeder Diskussion über Elektroautos früher oder später jemand einwirft, dass der Strom ja auch nicht sauber ist, sondern aus Braunkohle, Steinkohle und Atomkraft kommt. Ich entgegne dann immer, dass Elektroautos selbst dann in der Gesamtbetrachtung besser sind als jeder Verbrenner, wenn man nur den ganz gewöhnlichen deutschen Strommix zugrunde legt. Und je höher der erneuerbare Anteil wird, um so besser wird die Gesamtbilanz. Außerdem können Verbrenner nicht rekuperieren und vernichten an jeder Ampel ganz viel Energie. Ich finde auch, dass es schon ein Wert an sich ist, dass die Abgase nicht mehr direkt bei den Menschen entstehen, sondern irgendwo weit weg. Zumal moderne Kraftwerke wohl viel effizienter und sauberer sind als die Gesamtzahl der Verbrennermotoren auf den Straßen der Innenstädte. In Berlin werden viele Kraftwerke zudem mit Erdgas betrieben und haben durch Kraft-Wärme-Kopplung eine hohe Gesamteffizienz. Und im Havelland vor den Toren der Stadt haben wir den größten deutschen Windpark.

Meiner Meinung nach führen die Leute solche blöden Argumente in die Diskussion ein, um daraus die Rechtfertigung abzuleiten, weiterhin ihre Verbrenner zu fahren und an ihrem eigenen Mobilitätsverhalten nichts ändern zu müssen. So seltsam es auch klingt: Sie kritisieren Elektroautos, schämen sich aber nicht, gleichzeitig weiterhin mit ihren Autos die Luft in den Städten zu verpesten.

Kann mir das vielleicht mal jemand erklären? Ich schaffe ein Elektrofahrzeug an, um als innovativ und umweltbewusst wahrgenommen zu werden und meine Mitmenschen nicht mehr unmittelbar zu vergiften, und dann kommen ständig Leute und versuchen zu begründen, warum Elektroautos Blödsinn sind...

Matthias
Leider zu kurzsichtig. Aber es kann auch sein, dass sein Wissen über Mobilität etwas begrenzt ist.
Ich mag ja E-Autos auch, aber sie sind nicht umweltfreundlicher als jeder Verbrenner.

Umwelttechnich sind derzeit moderne CNG-Fahrzeuge am besten, welche mit synthetischem E-Gas oder mit Bio-Methan der 3-4ten Generation betankt werden.
Aus den Kraftwerken kommt auch jede Menge Dreck und CNG-Fahrzeuge haben nunmal keine Akkumulatoren, welche energieaufwendig hergestellt werden.
Ein Auto mit Erdgasantrieb kann sogar acht Jahre lang emissionsärmer fahren – also rund ein Autoleben lang –, bevor ein Elektroauto theoretisch günstiger liegt. Noch eindrucksvoller wird die Betrachtung, wenn das Gasauto mit CO2-neutralen, sogenannten E-Kraftstoffen betrieben wird. Dann kommt zu den ursprünglichen fünf Tonnen CO2 nichts mehr hinzu, und selbst wenn man von dem utopischen Szenario ausgeht, dass Elektroautos an einem Netz von völlig emissionsfrei erzeugtem Strom hängen, können sie den Vorsprung des mit E-Gas betriebenen Verbrenners nicht mehr aufholen.

http://www.automagazin.at/wiener-motore ... -wahrheit/
Mahle rechnet den Vergleich mit einem Elektroauto mit 40-kWh-Akku vor: Nach zehn Jahren hat der Stromer 20 Tonnen CO2 freigesetzt. Das Gas entsteht bei der Produktion und dem üblichen deutschen Strom-Mix. Ein ähnliches Erdgasauto würde mit gleicher Laufleistung (15.000 km/Jahr) 23 Tonnen CO2 freisetzen. Bis zum siebten Jahr liegt der Vorteil beim CNG-Fahrzeug.

VW ergänzt: Betankt man ein Erdgasauto mit synthetisiertem CNG, liegt der effektive CO2-Ausstoß dauerhaft unter dem des Elektrofahrzeugs. Selbst wenn der Strom aus erneuerbaren Energien stammt, liegt das Erdgasauto bis zum 13. Betriebsjahr vorn. Es stößt nur so viel CO2 aus, wie bei der Produktion des Kraftstoffs gebunden wird. Audi nennt dieses Prinzip „E-Gas“.

http://www.motor-talk.de/news/nicht-ohn ... 21278.html

Der deutsche Strommix ist nicht wirklich sauber. Besser als der weltweite Durchschnitt, aber nicht sauber genug.

Re: Permanenter Rechtfertigungsdruck

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Mit Bio-Methan 3./4. Generation kannst Du aber vielleicht 5% unserer Flotte bedienen, dann ist Schluss.

Und - trotz x-facher Wiederholung: eAutos sind auch mit dem HEUTIGEN deutschen Strommix besser als Verpester. Abgesehen davon, dass ein Großteil der - heutigen - eFahrer echten Ökostrom beziehen, sich also aus dem Strommix ausgeklinkt haben.
Not-wendig: www.bzfe.de/inhalt/planetary-health-diet-33656.html

Freitag treffen wir uns: https://fridaysforfuture.de/allefuersklima/

Herzliche Grüße
Alex

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