Hauptstadtkonferenz Elektromobilität - Schaufenster Berlin

Alle Themen über Elektroautos, zu denen es kein eigenes Forum gibt

Hauptstadtkonferenz Elektromobilität - Schaufenster Berlin

TeeKay
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Ich war heute auf dem Hauptstadtgipfel Elektromobilität, bei dem die Berliner Agentur für Elektromobilität im Rathaus vor 600 Teilnehmern die Erfolge der vergangenen 12 Monate präsentierte.

Bürgermeister Wowereit hat es im Prinzip am besten zusammengefasst, als er seine Eröffnungsrede mit dem Satz begann: "Kaum einer wird es [die Schaufensterprojekte] wahrgenommen haben außer einigen Spezialisten"

Der Vertreter des Berliner Unternehmerverbandes sagte ganz richtig: "Was wir nicht brauchen, sind Papierprojekte und zu Tode getestete Einzelfälle." Also nicht das, was die Schaufensterprojekte tun. Leider verglich er auch den Praxisverbrauch von EV mit dem Normverbrauch von Verbrennern und kam zu dem Schluss, dass EV nicht umweltfreundlicher seien. Das sei erst ab einem Anteil von 70% erneuerbarer Energien am Gesamtstromverbrauch der Fall.

Es gibt aktuell 1300 Elektroautos in Berlin, davon 400 Carsharing-Autos. Die restlichen 900 Fahrzeuge verteilen sich fast vollständig auf diverse Firmenflotten. Die Ziele für den sogenannten Markthochlauf sind auf ein Minimum eingedampft. Dieses Jahr will man 500 zusätzliche EVs in Firmenflotten bringen.

Der Vertreter von Vattenfall zeigte sich auch entsprechend ernüchtert, wie unenthusiastisch man inzwischen geworden sei. Vor zwei Jahren, als die Bewerbungen für Schaufensterprojekte geschrieben wurden, meinte noch jeder, unter 10.000 lohne es sich gar nicht. Jetzt feiert man 1.300 EVs und freut sich, wenn man am Jahresende bei 1.800 sein wird. Zudem bemängelt Vattenfall das Fehlen von großvolumigen Fahrzeugen oberhalb des Kangoo, weshalb viele Flotten nicht mit EV ausgerüstet werden können. Selbstkritisch zeigte er sich enttäuscht, dass selbst Vattenfall kaum EVs benutzt.
Ein großes Problem beim Aufstellen von Ladesäulen ist in Berlin und Hamburg die schlechte Koordination zwischen Senat und Bezirksämtern. Senat will, Bezirksämter finden Gründe, weshalb es nicht geht. Er drückte das sehr diplomatisch so aus, dass es schwierig sei, auf der Mikroebene Standorte für Säulen zu bestimmen.

Mehrere Referenten, u.a. Wowereit, wünschten sich eine positivere Begleitung der Medien.

Der Vormittag war geprägt von politischen Referenten, die durchweg wohl nichts mit EV am Hut hatten und eher langweilige, uninspirierende Vorträge hielten. Die motivierenden ausländischen Referenten aus Oslo, Kopenhagen und Amsterdam wurden auf 16:30 terminiert.

So legt Katherina Reiche vom Verkehrsministerium mal wieder den Fokus auf die Amortisierung beim Privatnutzer. Die Autos müssten sich rechnen. Schwachsinn, wie ganz am Ende auch der Vertreter von Tesla sagte. In Kalifornien sehe man nicht deshalb so viele Teslas, weil sich die 100.000 Dollar Karren rechnen würden oder so umweltfreundlich seien.

Frau Reiche, die vor 11 Jahren noch als "Expertin" für Frauen-, Jugend- und Familienpolitik der CDU auftrat, hat jetzt übrigens einen gut dotierten Staatssekretärsposten im Verkehrsministerium erhalten. Dort wünscht sie, als Vertreterin der Politik: "Es wäre schön, wenn man Startups auch einmal unbürokratisch helfen könnte." Tja Frau Reiche, wer wenn nicht Sie könnte wohl für solch unbürokratische Hilfe sorgen?

Wenigstens gab sie einen Forschungsrückstand gegenüber anderen Nationen beim Thema Batterien zu.
Wie immens der ist, zeigte am Abend McKinsey. Die USA gaben seit 2007 für EV-Forschungsförderung in Verhältnis zum BIP 0,2% aus. Deutschland nur 0,03%. Im Verhältnis zum Jahresumsatz der Autoindustrie gaben die USA 6,9% aus (6,9% eines Jahresumsatzes flossen seit 2007 in EV-Forschungsförderung). Beim Automobilland Deutschland, das angeblich so extrem vom Autobau abhängt, waren es nur 0,3%. In Frankreich waren es 3,2%, in Großbritannien ohne Autoindustrie waren es 3,5%. Nur Japan hinkt mit 0,2% noch stärker hinterher.

Ernüchternd war die Frage eines Teilnehmers, welcher der 599 anderen Teilnehmer denn schon Elektroauto fahre. Es waren sehr wenige. Übrigens waren 5 von 6 Ladepunkten in der Nähe des Rathauses unbesetzt. Am sechsten lud ich selbst. Vermutlich hatten alle anderen gar keinen RWE-Vertrag.

Die geringe Selbstnutzungsrate der 600 Emobilitätsenthusiasten erklärt auch die Differenz zwischen den Nutzer-Interessen und den Diskussionsthemen. In der Diskussionsrunde ging es viel um Anreizsetzung, Ordnungspolitik und "Wie können wir die Denkweise der Nutzer ändern", während die per SMS einreichbaren Fragen in der Mehrzahl um "Wann kommen endlich Schnelllader, vor allem für Langstrecken" gingen. Laut dem Leiter der Berliner Schaufensterprojekte müsse man sich räumlich beschränken, deshalb höre die Ladeinfrastruktur am Ende der Berliner Innenstadt auf.

Überrascht war ich, wie sehr sich der Leiter des Berliner InnoZ (Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel) gegen Vorschriften wehrte. Selbst die Pflicht zum Einbau von Kabelkanälen in neu gebauten Tiefgaragen (zum kostengünstigen Nachrüsten von Wallboxen) lehnte er ab. Alles müsse freiwillig geschehen. Und bitte immer Qualität vor Quantität.

In Norwegen sind Schnelllader 8% des Tages belegt, also etwa 2h. Damit laden dort 4 Autos pro Tag. In den Niederlanden sind es nur 0,6-2 pro Tag.

In Amsterdam geben die ~2000 Ladesäulen pro Monat rund 130.000kWh ab - also nur 65 pro Ladepunkt.

Den Fokus der deutschen Industrie auf Plugin-Hybride sieht McKinsey sehr skeptisch. In alle Märkten weisen Plugins wesentlich geringere Wachstumsraten auf als reine Elektroautos. Zudem zeigen Untersuchungen von McKinsey, dass der durchschnittliche Plugin-Besitzer das Auto nur selten an der Steckdose auflade.

Der Vertreter des Landes Berlin wehrte sich vehement gegen die Freigabe von Busspuren und kostenfreies Parken von EV. Zitat: "Das wird sicherlich nicht passieren!" Eine "No-Emission-Zone" in der Berliner Innenstadt kann sich der Staatssekretär für Stadtentwicklung und Umwelt in zehn Jahren nicht vorstellen, da Verbrenner immer umweltfreundlicher werden.

Teslas Schlussvortrag war leider eine reine Werbeveranstaltung eines Deutschlandchefs, der sein eigenes Produkt nicht kennt. Wer mir erzählt, dass Model S einen Doppellader hätte, man also an schwachen Steckdosen mit zwei Kabeln an jeder Seite des Autos laden könne, der hat offenbar noch nie sein eigenes Produkt oder irgendein anderes Elektroauto geladen.
Zuletzt geändert von TeeKay am Fr 28. Mär 2014, 14:11, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Hauptstadtgipfel Elektromobilität - Schaufenster Berlin

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Vielen Dank für den informativen Bericht!

Interessant finde ich die Aussage, dass Plug-in-Hybride weniger sinnvoll sind als reine Elektroautos. Diese Aussage sollten sich die deutschen Hersteller auf der Zunge zergehen lassen.

Und dass bislang kaum Privatfahrer ein Elektroauto haben, kann ich bestätigen. Überall wo ich rumfahre, treffe ich auf Firmenautos mit Elektroantrieb. Für mich ist das ein Zeichen, dass die Infrastruktur fehlt für Langstrecken und in Wohngegenden.
Zoé Zen, 07/2013 bis 08/2020. 3/18: Akku-Upgrade auf 41 kWh. Wallbox 11 kW. Kia e-Niro Vision 64 kWh seit Juli 2020.

Re: Hauptstadtgipfel Elektromobilität - Schaufenster Berlin

TeeKay
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McKinsey widerspricht sich bei den Plugins selbst. Einerseits sind sie weniger beliebt, andererseits prophezeien sie der deutschen Automobilindustrie trotz des Fehlens von BEVs (reinen Batteriefahrzeugen) bzw. des Fehlens entsprechender Produktionskapazitäten bis 2019 den weltweit zweiten Platz nur 8.000 Einheiten hinter Japan.

Im Oktober 2019 sollen 454.000 Elektroautos aus Deutschland kommen. Aus Japan 462.000. USA folgen mit 290.000. China mit 287.000 und Großbritannien mit 110.000 (sind dann wohl Leafs aus dem britischen Werk).

Tesla plant bekanntlich für 2020 schon mit 500.000 Einheiten pro Jahr. McKinsey ist anderer Ansicht.
Dateianhänge
BEV_vs_PHEV.jpg

Re: Hauptstadtgipfel Elektromobilität - Schaufenster Berlin

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Traurig :'(
Und die liebe Angie sitzt den ganzen Kram mal wieder aus anstatt ihrer Forderung nach der Mio etwas Druck folgen zu lassen.
Gruß Bernd
Hyundai Kona (64/19er), 60,000 km, Kona (64/21er) 30.000 km
Leaf Tekna: 108.000 km Erfahrung/verkauft :-)
In Planung: Ford Streetka-E-Roadster.

Re: Hauptstadtgipfel Elektromobilität - Schaufenster Berlin

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TeeKay hat geschrieben:Ernüchternd war die Frage eines Teilnehmers, welcher der 599 anderen Teilnehmer denn schon Elektroauto fahre. Es waren sehr wenige.
Das ist aus meiner Sicht eins der Grundprobleme. Ich sag nur: Glaubwürdigkeit und Kompetenz. Jemand, der Elektromobilität voranbringen soll/will, aber selbst nicht elektrisch fährt und keine praktischen Erfahrungen hat, kann bestenfalls nur lauwarm agieren, und genau danach sieht's aus.
ZOE Intens Q210 2013-2018
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Re: Hauptstadtgipfel Elektromobilität - Schaufenster Berlin

rolandk
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@TeeKay
Ein lesenswerter gut gemachter Bericht. Danke.

Roland
Unterwegs mit: Zoe Q210 (mit 38 kWh, DAB+, Android-Auto, Zoe-Display), Tesla Model S85 (Ladeflatrate), van Moof S3, Zoe R240 (DAB+, Android-Auto, Zoe-Display), SAIC MG4 (Luxury, Saskia)

Re: Hauptstadtgipfel Elektromobilität - Schaufenster Berlin

TeeKay
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Passend zur gestrigen Konferenz hat die Deutsche Umwelthilfe heute die Liste der Dienstwagen aktueller Politiker vorgestellt. Mal schauen, was die gestrigen politischen Referenten fahren. Elektrische Komponenten finden sich bei denen jedenfalls nicht im Antriebsstrang.

Katherina Reiche: Mercedes S350 Diesel (wenigstens Hybrid wäre im Angebot, im Verkehrsministerium fährt keiner der Leitungsebene wenigstens Hybrid. Dobrindts i3 ist nur ein Feigenblatt für den Pendelverkehr zwischen Berliner Wohnung und Ministerium).

Klaus Wowereit: Audi A8 4.2 TFSI (wenigstens Hybrid wäre im Angebot, nur ein Berliner Senator fährt Hybrid)

Ralf Christoffers: Audi A8 3.0 TDI (wenigstens Hybrid wäre im Angebot, kein Brandenburger Minister fährt wenigstens Hybrid)

Die anderen Referenten stehen leider nicht auf der Liste der Umwelthilfe.

Und komm mir keiner damit, dass die Minister Sonderschutzfahrzeuge bräuchten, die es mit Hybrid nicht gäbe. Es war gar kein Problem, an Wowereit heranzukommen und niemand hat am Einlass auch nur kontrolliert, ob ich überhaupt der bin, der ich vorgebe zu sein. Wenn es keinen Schutz im Rathaus gibt, braucht es den auch nicht im Auto.
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